Die Gesetzgebung in Deutschland ist sehr transphobisch. Es werden alle nur erdenkbaren Hürden in den Weg gestellt um transgender Menschen daran zu hindern Zugriff zu lebenswichtigen Medikamenten zu bekommen. Hierbei geht es nicht, wie oft fälschlich behauptet wird, um das Schützen von Minderjährigen oder irgendwelchen anderen Vorwänden, mit denen besorgte Bürger ihre transphobie versuchen rechtzufertigen. Nein, hierbei geht es lediglich darum, dass die Existenz von transgender Menschen als eine Gefahr für die Gesellschaft gesehen wird.
In Deutschland gilt zur Zeit das Transsexuellen Gesetz von 1980, welches schon damals rückschrittig war. Der Name an sich ist bereits eine Zumutung. Es ist geplant, wenigstens Teile dieses Gesetzes durch das neue Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen. Dieses Gesetz ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber viel zu wenig, viel zu spät. Es soll es vereinfachen, den eigenen Namen und das gesetzliche Geschlecht zu ändern, aber es wird es wohl nicht einfacher machen, an Hormone zu kommen.
Selbstverständlich muss man nicht Hormone nehmen, um "richtig trans zu sein" und es gibt auch Gründe, Hormone zu nehmen, die nichts mit der Genderidentität zu tun haben. Jedoch sehe ich und viele andere die Hormontherapie als ein notwendiges, medizinisch erwiesenes Mittel gegen Genderdyphorie und dementsprechend ist die nachfrage recht hoch.
Der offizielle Prozess ist in etwa so: Man müsste zu einem Psychologen für 12 Sitzungen / ein halbes Jahr minimum gehen, um dann - vielleicht - die Diagnose für "Transsexualismus" zu bekommen. Transidentität ist nach deutschem Recht also eine Geisteskrankheit... nett.
Mit dieser Diagnose kann ein Facharzt dann eine Indikation und somit ein Rezept für Hormone (zb. Estradiol oder Testosteron) ausschreiben. Das tun aber nur die wenigsten. Der ganze Prozess dauert im besten Fall etwa ein Jahr, aber es kann auch viel schief gehen. So können Psychologen zum Beispiel das Ausschreiben der Indikation verweigern aufgrund von "Risikofaktoren". Diese können z.B. die Diagnosen Depression oder Borderline sein.
Ergo: Dir geht es schlecht weil du Genderdysphorie hast, du gehst zu einem Psychologen, dem du beweisen musst dass es echt ist anstatt nur eine "Phase" zu sein oder was auch immer. Wenn es dir schlecht geht - wie es vielen in dieser Situation gehen würde - können die dir die Diagnose Depression hinklatschen und du hast keine Chance auf Hormone. Geil nicht?
Der ganze Spaß dauert ewig und kostet einen Haufen Geld und Nerven. Transitioning hat viel mit Geduld zu tun, alles dauert ewig, aber nicht jeder hat alle Zeit der Welt für Bürokratie.
Aus diesem Grund habe ich mich für eine andere Route entschieden, nämlich, meine HRT in Belgien, einem deutlich progressiven Land, zu beginnen.
In Belgien ist es keine Geisteskrankheit trans zu sein. Man benötigt dementsprechend auch keine Diagnose. Hormone sind immer noch Verschreibungspflichtig, jedoch gilt das "informed consent" (informierte Einwilligung) System. Im praktischen läuft es dann so ab.
1) Einen Termin bei Genres Pluriels vereinbaren. Diese Organisation arbeitet in Belgien und bietet Unterstützungsangebote für genderfluide, transgender und intersex Menschen an. Wichtig für uns ist, das sie auch ein Team von Sexologen haben, die die Qualifikationen haben, das Aufklärungsgespräch zu führen. Normalerweise ist es nach dem "informed consent" System vorgesehen, dass Ärzte selbst, ihre Patienten über die (Neben-)Wirkungen von Therapien aufklären, jedoch fehlt es häufig an der Notwendigen Erfahrung und der Zeit, da diese Gespräche recht lange dauern können. Oft kann es passieren, dass unerfahrene Ärzte - auch in Belgien - einen an einen Psychologen weiterleiten.
Um das alles zu verhindern, kann man über Genre Pluriels informiert werden, bekommt ein Dokument, welches von vielen Ärzten akzeptiert wird, und kann dann mit wenigen Umständen direkt beim ersten Arzttermin ein Rezept bekommen.
Genre Pluriels hat viele Dokumente, leider nur auf französisch. Aber die Website ist größtenteils auf Deutsch, Englisch, Französisch und Niederländisch und auch die Beratungstermine sind in diesen Sprachen zu bekommen.
Ich habe einfach eine Email an genre pluriels geschrieben und dann eine Beratung über eine Videokonferenz bekommen. Die Beratung selbst kostete mich nur 10€ (wobei ich aus Solidarität mehr gespendet habe).
Pro Tip: Brüssels selbst ist außerdem polylingual, je nach Stadtteil sprechen die Menschen andere Sprachen und man kommt recht gut mit deutsch klar, auch viele Ärzte behandeln auf Deutsch oder Englisch.
2) Um eine Hormontherapie zu starten, muss man zuerst einen Bluttest haben. Dieser Bluttest ist recht groß und enthält mehr Faktoren als nur die Geschlechtshormone. (Dementsprechend kann es leider auch recht teuer werden… Ich glaube für mich waren es etwa 200€.) Hierbei geht es darum, sicherzustellen, dass es keine Hintergrund Beschwerden gibt, die eine Hormontherapie auf medizinischer Basis gefährlich machen können.
Da die Auswertung eines großen Bluttests meist mehrere Tage dauert, habe ich mich entschieden, mein Deutschland zu machen. Ich habe diese Tabelle von Genre Pluriels bekommen, in der die zu testenden Parameter gelistet sind. Die rot markierten Felder sind die Datenpunkte, die erhoben werden sollten. Kleine Warnung: das ganze kostet ne Menge Blut!
Pro tip: In Brüssels, aber auch in anderen Städten, gibt es sogenannte “Hormon Boxen”. Das sind Orte, an denen Menschen, die mehr Hormone als sie brauchen haben, einen Teil ihrer Medikamente an andere, die vlt. keinen Zugang zu HRT haben, spenden.
3) Sobald du den Bluttest hast, kannst du dir einen Arzttermin in Belgien besorgen. Der Test sollte für etwa 3 Monate gültig sein, aber es ist besser, es so zeitnah wie möglich zu machen. Genre Pluriels hat eine Liste von Ärzten, mit denen sie Kooperieren, viele davon in Brüssels. Ich habe einfach angerufen und noch in derselben Woche einen Termin bekommen (Nicht vergessen, die Vorwahl +32 an die Telefonnummern anzufügen).
Pro tip: Ein Tipp den ich bekommen habe, ist, zu “family planning doctors” zu gehen, da diese sich in der Regel sehr gut mit Hormon-zeugs auskennen und eher offen auf Sexualität und Gender Identität zu seien scheinen.
4) Beim Arzt kannst du dein “fille liaison” von Genre pluriels, und deinen Bluttest vorzeigen. Es werden eventuell noch ein paar Fragen gestellt, zum Beispiel zum Thema Fruchtbarkeit. (Unfruchtbarkeit ist eine häufige Nebenwirkung in HRT, sowohl bei MtF als auf FtM.) Nach einem 15 Minuten Gespräch hatte ich dann ein Rezept. Der Arzttermin hat bei mir etwa 35€ gekostet. Ich habe eine Verschreibung für 6 Packungen Estrogel bekommen, genug für etwa ein halbes Jahr. Die Medikamente haben etwa 40€ gekostet. Also insgesamt um die 75€.
Nach 3 Monaten sollte man einen neuen Bluttest und einen neuen Arzttermin machen, um die Blutwerte zu kontrollieren und, falls notwendig, die Dosierung zu ändern.
Pro tip: Man kann von Luxembourg aus für nur 10€ nach Brüssel fahren. Es gibt ein sogenanntes “international ticket", mit dem man für sehr wenig Geld pendeln kann. Die Fahrt ist etwa 2.5 Stunden Regionalbahn, aber die belgischen / luxemburgischen Züge sind sehr angenehm.
Ich hoffe sehr, dass dieser Guide jemandem helfen kann. Ich habe einen kleinen englischsprachigen Blog auf dieser Website angelegt, an dem ich meine Erfahrungen mit allen Interessierten teilen möchte: https://luigispizzaplace.it/E/ .
Falls es irgendwelche Rückfragen gibt, kannst du mir gerne eine Email schicken: notfujiwara@luigispizzaplace.it oder mich auf Discord unter meinem Namen notfujiwara anschreiben.